Verfolgt im Nationalsozialismus:

Frau Friedländer zu Besuch an der ESN

Am 23.2. besuchte die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer unsere Schule. Es war eine beeindruckende Begegnung! 

Die Aula war trotz eines langen Schultages bis auf den letzten Platz gefüllt. SchülerInnen aus Klasse 10-13 durften teilnehmen. Als Margot Friedländer ihr Wort erhob, um aus Ihrem Buch zu lesen, herrschte in der Aula Stille. Keine gespenstische oder angespannte Stille. Eine gebannte Stille. Eine Stille, die ich so bisher selten erlebt hatte. Ich hatte das Gefühl, in der Zeit zurückzureisen. In eine Epoche, die uns als SchülerInnen unglaublich fern erscheint, und doch erst knapp 80 Jahre her ist.  In eine Epoche, über die wir im Geschichtsunterricht bereits viel gelernt haben, deren Verbrechen dennoch oft unbegreifbar sind: Sechs Millionen ermordete Juden, eine abstrakte Zahl, die leicht vergessen lässt, dass dahinter sechs Millionen Einzelschicksale und Lebensgeschichten standen. Frau Friedländers Bericht machte das oft Unbegreifbare besser begreifbar: Es vermittelte eine Vorstellung davon, wie sehr das Leben in der NS-Diktatur für viele Menschen von Angst, Unsicherheit und Verlust geprägt war; was es bedeutete, als Jüdin in einer Gesellschaft zu leben, in der der Antisemitismus sich über viele Jahre lang radikalisiert hatte. Es machte in einer großen Unmittelbarkeit klar: Diese Person, die hier vor mir sitzt, hat erlebt, wie Freunde und Verwandte verschwanden und ermordet wurden. 

Diese Person hat gesehen, wie wehrlose Gefangene wahllos ermordet wurden – immer verbunden mit der Unsicherheit, ob man selbst vielleicht als nächstes drankommt.

Die Begegnung mit Frau Friedländer war auch beeindruckend, weil sie die Chance bot, weit verbreitete Vorstellungen über diese Zeit zu hinterfragen. Wie sie sich gefühlt habe, als Theresienstadt im Frühjahr 1945 befreit worden sei, war eine Frage, die im Anschluss an die Lesung gestellt wurde. Die Antwort auf diese Frage überraschte: Nicht Freude, sondern eher Trauer. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Hoffnung auf das Wiedersehen mit ihrem Bruder und ihrer Mutter noch existiert, erst im Moment der Befreiung, als gleichzeitig Züge aus Auschwitz in Theresienstadt ankamen, wurde schmerzlich klar: ein solches Wiedersehen würde es nicht geben! 

Bemerkenswert fand ich auch ihre Antwort auf die Frage, ob sie jemals Rachegelüste oder Wut auf die Deutschen verspürt habe. Sie verneinte diese Frage sofort. Ihr war besonders wichtig, uns mitzuteilen, dass wir keinerlei Schuld an der Shoa mehr tragen würden, jedoch die Verantwortung haben, alles in unserer Macht stehende zu tun, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt.

Peter Spieker, 13. Jahrgang

Versuche Dein Leben zu leben

Erfahrungsbericht einer Holocaust-Überlebenden

Nachdem ich mich eine lange Zeit intensiv um einen Besuch mit der 101 Jahre alten Holocaustüberlebenden Margot Friedländer bemüht hatte, war es am 23. Februar endlich soweit: Frau Friedlander kam zu uns in die Aula, um zu den Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 10 bis 13 aus ihrer Biographie “Versuche, dein Leben zu machen” vorzulesen und Fragen, die Herr Schneider mit dem Profilkurs Geschichte und Frau Witt mit Ihren Klassen und Kursen vorbereitet hatten, zu beantworten. Herr Knauer richtete einige Begrüßungsworte an unseren Gast, die auch die Tradition der Auseinandersetzung der Evangelischen Schulen mit den Verbrechen der NS-Zeit beinhalteten.

Dann wandte sich Frau Friedländer mit einem kurzen Grußwort an alle Anwesenden, indem sie erklärte, dass sie aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr in der Lage sei, selbst vorzulesen und stattdessen eine DVD mit einer von ihr gehaltenen Lesung aus dem Jahr 2013 vorspielen würde. Im Anschluss würde sie uns für Fragen und ein Gespräch zur Verfügung stehen.

Die Lesung berichtete über Frau Friedländers Zeit nach der Verhaftung und Deportation ihres 17 Jahre alten Bruders Ralph und ihrer Mutter in das Vernichtungslager Auschwitz, gefolgt von ihrer Zeit im Untergrund in Berlin und im Konzentrationslager Theresienstadt bis zur Befreiung 1945. Besonders bewegend war dabei, wie sie uns bei den jeweiligen Passagen ihren gelben Stern und die letzten Gegenstände, die ihr ihre Mutter, bevor sie sich der Gestapo stellte, um ihrem Sohn zu folgen, zeigte. Es handelte sich um eine Bernsteinkette und ein Adressbuch, das Margot beim Überleben behilflich sein sollte.  

Wir anwesenden Lehrerinnen und Lehrer lauschten nicht nur selbst gebannt Frau Friedländers Worten, sondern beobachteten, dass trotz eines langen und anstrengenden Unterrichtstages fast 200 Schülerinnen und Schüler atemlos und gebannt über eine Stunde lang konzentriert lauschten.

In dem anschließenden Gespräch wurden zum Teil auch persönliche Fragen gestellt, die von Frau Friedländer wohl durchdacht, erstaunlich frei und ausführlich und sehr ehrlich beantwortet wurden. Dann richtete sie eindringlich einen Appell an die Schülerinnen und Schüler: 

“Was war, können wir nicht mehr ändern, aber es darf nie, nie wieder geschehen… ihr müsst nun die Zeitzeugen werden..nehmt euer Schicksal in die Hand und respektiert Menschen, egal welcher Hautfarbe oder Religion sie sind, als Menschen. .. seid Menschen!”

Als die Schülerinnen und Schüler als Reaktion darauf spontan aufstanden und applaudierten, war der Bann endgültig gebrochen. Sehr viele wollten das Buch, das Frau Friedländer persönlich mit einer Widmung “Gegen das Vergessen” signierte, erwerben und ein gemeinsames Erinnerungsfoto machen. 

 Wir alle waren zutiefst beeindruckt. Nicht nur von ihrem erschütternden Schicksal und dramatischen Leben, sondern auch von ihrer Klugheit, ihrer Präsenz und Haltung, ihrer großen Herzenswärme und ihrer Fähigkeit, mit Menschen, egal welchen Alters, sofort Nähe und eine Verbindung herzustellen. 

Auf dem Nachhauseweg war Frau Friedländer zwar, wie sie selbst sagte, “fix und fertig”, aber beseelt und glücklich über den Verlauf der Veranstaltung und voll des Lobes für unsere “tolle Schule mit so besonderen Schülern und Lehrern..”

Am nächsten Tag vertraute sie mir noch an, dass sie sehr glücklich sei über ihre Entscheidung im Jahr 2009, im Alter von 88 Jahren die USA zu verlassen, um ihren Lebensabend in ihrer Heimat Berlin zu verbringen und gleichzeitig von den Schrecken des NS-Regimes zu berichten. Sie bedankte sich bei uns allen, dass wir ihr mit so  viel Liebe, Aufmerksamkeit und Wärme zugehört hatten und versprach, uns in bester Erinnerung zu behalten. 

Liebe Frau Friedländer, wir alle, die dabei sein durften, sind zutiefst bewegt und werden Sie und Ihr Vermächtnis nie vergessen. Danke, dass wir Sie kennenlernen durften und dass Sie bei uns waren.  

Birgit Wettich