70 JAHRE ESN
Eine kleine Schulgeschichte von Klaus-Randolf Weiser (2009), ergänzt von Lore Nareyek (2015)
Der Anfang
In den leidenschaftlich geführten Auseinandersetzungen um ein Schulprogramm für Groß-Berlin nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges schien sich die reformpädagogisch geprägte Einheitsschule durchzusetzen. Gemeinsames Unterrichten von Jungen und Mädchen, eine achtjährige Grundschule, eine flexible Mittelstufe mit Kursangeboten sollten eine strikte, frühe Trennung der Schülerinnen und Schüler in die verschiedenen Schulformen verhindern und gemeinsames Lernen ermöglichen. Spätestens als sich die neu gegründete DDR für die Einheitsschule entschied, galt diese Schulform – obwohl aus der Reformpädagogik der 20 erJahre stammend – als marxistisch, sozialistisch geprägt und damit verdächtig und inakzeptabel. Einzig die Fritz-Karsen-Schule blieb als „Schule mit besonderer pädagogischer Prägung“ als Einheitsschule erhalten.
In Neukölln, einem Zentrum reformpädagogischer Ideenentwicklung, wurde in diesen Schulkampf hinein 1948 unsere ESN gegründet, gemeinsam mit vorerst vier weiteren evangelischen Privatschulen.
Die Gründung von Privatschulen war schulpolitisch unerwünscht. Den Weg ebneten die westlichen Besatzungsmächte, indem sie darauf bestanden, dass das neue Schulgesetz die Gründung von Privatschulen in begrenztem Umfang ermöglichte. Am 9. Juli 1948 wurde der grundlegende Antrag auf „Errichtung evangelischer Privatschulen“ bei der Alliierten Kommandantur gestellt.
Die politischen Turbulenzen des Sommers 1948 mit der Währungsreform und dem Beginn der Berlinblockade am 24. Juni führten dazu, dass der Gründungsantrag der Kirche nicht termingerecht bis zum Schuljahresbeginn am 1. September 1948 bearbeitet werden konnte. So beschloss die Kirchenleitung am 17. August „vorbehaltlich einer der späteren Genehmigung“, den Unterricht mit 228 Lernanfängern und sieben Lehrerinnen ohne Genehmigung in Charlottenburg, Frohnau, Steglitz, Spandau und natürlich Neukölln zu beginnen. Die ESN startete so den Schulbetrieb in der Schillerpromenade, in den Räumen der Genezareth-Gemeinde.
Die 50-er, 60-er
In der Festschrift zum 10-jährigen Bestehen der Schule wird die Anfangsphase anschaulich geschildert: „Eltern, Lehrerin und Schüler bildeten bald fast eine familiäre Gemeinschaft. Es war ja auch so leicht. Jeder kannte den anderen, und es war Zeit da für Elternbesuche und gründliche Besprechungen. Das Leben im Gemeindehaus bestärkte noch das Gefühl der unbedingten Zusammengehörigkeit. Bereits im nächsten Jahr war die Zahl der Anmeldungen so groß, dass zwei neue Lernanfängerklassen eröffnet wurden; nur der Raum fehlte. „Die Gemeinde hilft, stellt weiteren Platz zur Verfügung, jetzt werden bereits drei Klassen unterrichtet.
Auf dem Hof darf eine Baracke für zwei weitere Lerngruppen aufgestellt werden. Kindertagesstätte und Schule einigen sich leicht über die umschichtige Benutzung des Spielhofes. Die Amerikaner liefern Nahrungsmittel für die Schulspeisung, die von Mitgliedern der „Frauenhilfe” kostenlos gekocht und ausgegeben wird. Der Gemeindesaal steht der Schule für Adventsveranstaltungen zur Verfügung. 1952 zieht ein Teil der Schule in eine andere Baracke, in der Schierker Straße, die vorher dem Nachbarschaftsheim diente. In der Mainzer Straße wird nun ein neues Haus gebaut, aber erst am 5.11.1956 ist die Schülerschaft wieder an einem Ort vereint. Im folgenden Jahr ist die Turnhalle fertiggestellt.
Die 70-er, 80-er
1975 wird die ESN von einer Haupt- und Realschule in eine dreizügige integrierte Gesamtschule umgestellt – und natürlich fehlt es wiederum an Platz – der Anbau lässt auf sich warten. Erneut ist es die Genezareth-Gemeinde, die Räume bereithält. Die große Garderobe wird in einen Klassenraum umgebaut, für drei Jahre werden die ersten Klassen dort unterrichtet. Mit der Einweihung des Erweiterungsbaues 1982 ist die Schulgemeinde wieder unter einem Dach versammelt.
Unmittelbar nach der feierlichen Verabschiedung der Schulgründerin und langjährigen Schulleiterin, Frau Christa Marten, im Jahre 1985 wird die Vervollständigung des Bildungsangebots in der Mainzer Straße ins Auge gefasst: Die ESN muss eine Oberstufe erhalten! Schülerinnen und Schüler, die einen „Gymnasialabschluss” nach der zehnten Klasse erreichen, sollen nicht weiterhin auf umliegende Schulen wechseln müssen und dort kaum Möglichkeiten finden, weiterhin an einem christlich orientierten Unterricht teilzuhaben. Ferner bedeutet das Angebot des Abiturs an der ESN einen Lückenschluss im evangelischen Schulwesen:
Absolventen der evangelischen Realschulen in Charlottenburg und Steglitz sollen, entsprechende Leistungen vorausgesetzt, innerhalb unseres Schulwesens ihre Schullaufbahn mit der allgemeinen Hochschulreife abschließen können. Die Argumente werden von vielen Seiten unterstützt. Eltern beginnen Gelder zu sammeln, Steine für den Erweiterungsbau werden verkauft. Der Schulleiter Herbert Siebold bestellt Architekten, beeindruckende Pläne von einem Schulzentrum werden entwickelt, Dennoch scheitern sämtliche Pläne und Modelle. Herrn Siebold gelingt es trotz großen Engagements und origineller Kreativität nicht, das pädagogische Angebot unserer Schule zu vervollständigen. Die wunderbaren Ereignisse des Jahres 1989 taten dann ein Übriges, sie lassen die Vision von einer ESN mit gymnasialer Oberstufe nun vollends zu einer Utopie werden, unsere Landeskirche hatte nun andere finanzielle Verpflichtungen.
Die ESN soll eine „integrierte Gesamtschule ohne Oberstufe“ bleiben, eine gut arbeitende allerdings, denn von den haupt- und realschulempfohlenen Schülerinnen und Schüler schaffen pro Jahrgang stets 20 das Abitur an anderen Oberstufen.
Die 90-er
Nach dem Aus für die eigene Oberstufe (ein „Nachmittagsmodell“ scheitert als letzter, verzweifelter Versuch) beginnt man mit der pädagogischen Umgestaltung der Grundschule und Mittelstufe.
Vielfältige, regelmäßige Fortbildungen setzen neue Schwerpunkte in der Projektarbeit. Regelmäßige Klassen- und Kursfahrten, Theaterprojekte, Teilnahme an der künstlerischen Werkstätten im Bezirk, Musikwochen und Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz, Theresienstadt und Ravensbrück, die literarische Nacht sowie Projekttage zu unterschiedlichsten Themen prägen die Arbeit.
Das Modell der kollegialen Schulleitung und die Umwidmung von Beförderungsstellen schreibt Geschichte im evangelischen Schulwesen.
Das „Team-Kleingruppen-Modell“ wird 1998 für die Jahrgänge 7 und 8 eingeführt. Kleine Klassen (23), ein kleines, eng zusammenarbeitendes Lehrerteam setzten den Schwerpunkt der Arbeit auf den sozialpädagogischen Aspekt schulischer Bildung. Wegen der Raumnot im Hause müssen die vier Klassen jedoch ab neunter Jahrgangsstufe wieder zusammengelegt werden, ein Missstand, den wir erst mit dem Schuljahr 2008/2009 aufgeben konnte, da der Neubau für die Grundschule Klassenräume frei machte. In der Grundschule wird die Wochenplanarbeit in Angriff genommen.
Die 2000-er
Dann wird die Oberstufe doch möglich. Das Gemeindehaus der Genezareth-Gemeinde ist zu groß geworden und bietet Platz – für die ESN. Das Kollegium und voran Dr. Iber, seit 1995 Schulleiter, zögern nicht. Mit vereinten Kräften wird das Projekt realisiert, die Büroräume in der Schillerpromenade umgebaut und 2006 verlässt der erste Abiturjahrgang unsere Schule. Ein Wunder!
Aus Platzmangel ziehen die beiden ersten Klassen in Räume der Nikodemus-Gemeinde, so dass es nunmehr einen Schulbetrieb an drei Standpunkten gibt. Dies ändert sich erst, als auch der Pavillon, ein konstantes Provisorium aus dem Jahre 1976, durch einen Neubau ersetzt und im Rahmen der Feierlichkeiten zum 60-jährigen Schuljubiläum übergeben wird. Sechs Erzieherinnen und drei Erzieher arbeiten mit den Lehrern zusammen und betreuen inzwischen 180 Kinder, das Angebot reicht von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr abends, das ganze Jahr durch. Jahrgangsübergreifendes Lernen (JüL) für die Jahrgänge eins bis drei wird in sechs Lerngruppen im neuen Haus angeboten. Durch den Neubau ist seit dem Schuljahr 2009/2010 die Gesamtschule durchgängig vierzügig mit einer Klassenfrequenz von 23 Schülern möglich.
So ist unsere Schule gut aufgestellt, angesehen im Bezirk und strahlt eine freundliche und in vielen Bereichen kreative Atmosphäre aus, geprägt durch eine gute Zusammenarbeit von Lehrkräften, Eltern und Schülerinnen und Schülern sowie den vielfältigen sonstigen Dienstkräften.
Einen großen Einschnitt gibt es 2013 durch den plötzlichen Tod des Schulleiters Herrn Weiser, durch den die Schulgemeinde vor große Anforderungen gestellt wird. Es folgt eine umfassende Verjüngung der Schulleitung mit Herrn Knauer-Huckauf als Schulleiter, unter dem wiederum neue bauliche Aufgaben anstehen: Ein Erweiterungsbau in der Biebricher Str. erscheint möglich!
Welch beeindruckende, wunderbare Entwicklung, die hier kurz skizziert wurde. Mehr als 835 Schülerinnen und Schüler werden heute im Hause unterrichtet, die Nachfrage nach Schulplätzen an der ESN ist ungebrochen hoch, unsere Abschlüsse, von der Berufsbildungsreife, dem Mittleren Schulabschluss bis zum Abitur, liegen immer im Spitzenbereich.
Die ESN ist stets modern aufgestellt, da dürfen wir sehr selbstbewusst sein! Unsere Schule im Problembereich Nord-Neukölln passt zu der reformpädagogischen Geschichte des Bezirks.